Ich bin der RockRentner im Harz
und berichte hier von meinen Wanderungen, Begegnungen und Erlebnissen (nicht nur) im Harz.
Der Weg ist das Ziel (zur Steinernen Renne)
04.09.2024
Was auch immer der Grund ist, es treibt mich, den Riemen auf die Orgel zu schmeißen, die Wanderschuhe zu schnüren
und durch Täler und über Berge zu wandern, bis der Schweiß rinnt und die Beine müde werden. Im Grunde ist es mir
völlig egal, welches Ziel ich anpeile. Am Abend spüre ich jedes Mal, dass mich die Wege reizen. Die, auf denen ich
bereits lief und jene, die sich mir neu öffnen, mich überraschen. Manchmal sogar völlig unverhofft. So wie heute.
Am Bahnhof Steinerne Renne der Harzer Schmalspurbahn steht das Harzgefährt im Schatten. Hier waren wir schon
einmal, gingen mit Lily die weite Schleife über die Goslarsche Gleie bis hoch zur Mönchsbuche. Heute will ich
schnurstracks und bergan direkt zum Gasthaus Steinernen Renne gehen, das wir ausließen. Ich hatte damals noch kein
Ersatzteil in der Hüfte. Heute ist das anders, die Hüfte aus Edelstahl schenkte mir frische Beweglichkeit und viel Mut.
Schritt für Schritt wandere ich jetzt leichtfüßig auf der Bielstein Chausse bergan. Warum diese staubige Schotterpiste
eine Chaussee sein soll, erschließt sich mir allerdings nicht. Egal, ich gehe einfach.
Die „Chaussee“ windet sich am Hang entlang, Kurve um Kurve, aufwärts. Links Bäume und Gestrüpp, rechts von mir der
Hang, auch mit Bäumen und Gestrüpp. Über mir eine lang gezogene Kuppel aus Baumwipfeln, ein Blätterdach. Die
Sonne findet trotzdem genug Lücken, mir auf die Platte zu brennen. Es ist wie immer: in dem Maße, wie ich mich
einlaufe, presst sich der Schweiß durch die Poren. Das Phänomen ist mir bekannt, ich gehe einfach stur weiter. Hinter
jeder Biegung freue ich mich auf die nächste vor mir. Ich genieße diesen Zustand des totalen Abschaltens, des nur bei
mir zu sein, mit der Natur im Gleichklang. Keine Gedanken an irgendwas und die Augen nur für das Umfeld, das sich
langsam ändert, je höher ich komme. Klingt sicher romantisch, ist es auch. Niemand stört. Kein Radio oder Fernseher,
nur die kleine Welt namens Harz und ich bin mittendrin – frei!
Je höher mich meine Füße tragen, desto öfter gestattet mir die „Chaussee“ einen Blick ins Tal oder auf die Hänge
gegenüber. Auf den Höhen vor mir entdecke ich große Geröllhaufen, die man im Harz auch Klippen nennt. Welche ich
gerade sehe – keine Ahnung. Aber der Anblick ist faszinierend, während die Füße weiter aufwärts stampfen. Schritt für
Schritt, wie im Trance. Nach einer halben Stunde bergan und dem glühenden Ball am Himmel, meldet sich zum ersten
Mal der innere Schweinehund. Diesen Typ zu ignorieren und mich ständig zu motivieren, die nächste Biegung
anzusteuern, ist der eigentliche Sinn dieses Sports, der Wandern heißt. Der Lohn ist jede neue Aussicht, jedes kleine
Mosaik Natur am Wegesrand und letztlich, von oben, der staunende Blick zurück ins Tal. Hinter einem Felsvorsprung
steht eine Bank. Hinsetzen, durchatmen und nun staunend diese Natur und deren faszinierende Schönheit entdecken.
Ich habe jetzt gut zweieinhalb Kilometer Strecke in den Beinen und dabei rund zweihundert Höhenmeter (unter praller
Sonne) erobert. Liest sich wie ein Klacks, aber nur, wenn man es noch nie selbst versucht hat. Auf dieser Piste
schnaufen sogar die mit den E-Bikes. Zwei von denen überholen mich, ansonsten bin ich hier allein.
Nur wenige Meter weiter stehe ich vor einer Weggabelung. Auf meinem Google-Ausdruck ist die nicht drauf und ein
Smartphone besitze ich nicht. Bin „Händie-Muffel“. Als ein Forstfahrzeug vorbei fährt, frage ich nach, um sicher zu sein.
Auf dem letzten Kilometer, unterhalb der Renneklippen und hoch über dem Tal, gehen die Beine fast von allein. Dieser
kleine Weg ist flach und erfreut mich mit ganz verschiedenen Ausblicken ins Tal bis zurück nach Wernigerode. Nach fast
zwei Stunden gemütlichen, aber teilweise anstrengenden Wanderns, erreiche ich die Zufahrt zum Gasthaus Steinerne
Renne. Geschafft! Zwar bin ich völlig verschwitzt, ziemlich platt aber glücklich, den ersten Teil der Tour geschafft zu
haben. Das Gasthaus ist heute geschlossen, aber das wusste ich. Was ich brauche, bewahre ich in meinem Rucksack.
Das Geschenk Natur aber befindet sich um mich herum und mittendrin das plätschernde Wasser der Holtemme. Ich bin
ein glücklicher alter Sack!
Die Terrasse des Gasthauses bietet einige Plätze im Schatten. Dort lasse ich es mir entspannt gut gehen und gönne
meinen Beinen etwas Ruhe. Hier sitze ich ganz allein, nur gegenüber steigt ein Wanderer die letzten Stufen über die
Steine zur Brücke. Von hier würde ich ein Stück des Wegs zurück gehen, zum Wernigeröder Brunnen abbiegen, die
Mönchsbuche aufsuchen und über das „Wernigeröder Fenster“ auf der Goslarschen Gleie wieder zu meinem Harz-Jeep
finden. So ist mein Plan. Doch die Zufallsbekanntchaft, der Wanderer von gegenüber, erklärt mir, dass man auf der
anderen Talseite ebenfalls zum Bahnhof zurück wandern kann. Das klingt so verlockend, dass ich (wieder einmal)
meinen Plan ändere. Die Mönchsbuche ist gestrichen, dort war ich ja schon, und der Umweg über die Gleie auch. Nach
einer kurzen Fotosession und Gedankenaustausch mit dem Wanderer, begebe ich mich auf den nun neuen Rückweg. Ich
muss über die hölzerne Brücke, knipse ein paar Fotos (ein Muss) und schon stehe ich vor einem Trampelpfad, der über
große Steine talwärts führt.
Links, direkt unter mir, rauscht die Holtemme über die riesigen Steinbrocken. Über große Steine muss auch ich steigen.
Stufe für Stufe und die meisten zu groß für mein künstliches Gelenk. Schon die ersten Schritte bringen meine
Beweglichkeit an Grenzen. Ich muss höllisch aufpassen, suche, zusätzlich zum Wanderstab, Halt an Ästen oder
Felsvorsprüngen. Wenn das so weiter geht, werde ich bald ein Problem haben: weiter oder zurück? Ein Abzweig, leicht
in den Hang hinein, erspart mit beides. Nach wenigen Schritten gehe ich durch Gebüsch und sehe vor mir einen ganz
normalen Wanderpfad, oberhalb am Hang entlang. Das muss der Weg sein, den ich von der anderen Seite sehen
konnte. Gäbe es diesen Abzweig nicht, ich hätte wohl oder übel den Rückweg antreten müssen, um meine Knochen
nicht zu gefährden.
Augenblicklich bin ich ganz normal wandernd unterwegs. Zusätzlich genieße ich einen traumhaften Ausblick auf die
Hänge gegenüber und jenen Weg, den ich vormittags aufwärts nahm. Staunend sehe ich auch, wie majestätisch die
Renneklippen über dem Tal stehen. Auch der Weg darunter, auf dem ich wanderte, ist gut zu sehen. Mein Blick geht
zurück und dann entdecke ich das Gasthaus Steinerne Renne, wo es aus einer traumhaften Kulisse hervorsticht. Könnte
ich jodeln, jetzt würde ich es tun! Es ist verdammt schön hier oben und wieder bin ich weit und breit allein unterwegs.
Es ist die scheinbare Einsamkeit, die ich im Harz schätzen lernen konnte. Selbst die einsame Insel wäre
(möglicherweise) ein guter Ort für mich – doch keine Chance, das auszuprobieren!
Eine ganz Weile bin ich hier oben unterwegs, entdecke das Tal der Steinernen Renne aus der Vogelperspektive. Hinter
mir ziehen Gewitterwolken ganz allmählich über den Bergen auf. Die waren auch angekündigt. Vor mir führt der
Wanderweg jetzt abwärts geradezu ins Tal. Ich muss mit jedem Schritt bremsen und jeder Schritt geht auch in die
Gelenke. Deshalb gehe ich lieber bergan, als nach unten. Als ich endlich die Talsohle an der alten Granitsteinsäge
erreiche, ist mein Rücken ziemlich steif. Langsam schleiche ich mich am Bahnhof und dem Wasserkraftwerk entlang und
sehe endlich den Parkplatz vor mir. Ich bin müde, habe Rücken, aber auch jede Menge Glücksgefühle, wieder mal ein
schönes Natur- und Wandererlebnis gehabt zu haben.
Sollte jemand meiner Freundinnen und Freunde Lust bekommen haben, mit mir etwas Harz zu entdecken, dann lasst es
mich wissen. Wir suchen uns eine Route aus und werden gemeinsam eine schöne Zeit verbringen.